In altdeutschen Passionsdarstellungen wurden zu Beginn des 16. Jahrhunderts die maßgeblichen Darstellungskonventionen außer Kraft gesetzt. In Kreuzigungen von Cranach, Altdorfer, Huber, Holbein, Baldung und Grünewald wird Christus aus der hieratischen Position in der Mitte der Komposition, die er für über tausend Jahre besetzte, an den Rand geschoben. Auch bei anderen Passionsmotiven erscheint Christus häufig marginalisiert oder perspektivisch verzerrt. Sein Körper oder sein Gesicht sind dem Blick des Betrachters entzogen. Die Bilder verletzen anscheinend unbekümmert das Decorum und das Gebot der Bibeltreue. Diese ‚exzentrischen‘ Kalvarienszenen existierten – mit wenigen Ausnahmen – nur in Deutschland und in dem engen Zeitraum zwischen 1503 und 1533. Den Gründen für ihr Entstehen, ihren kurzzeitigen Erfolg und ihr Verschwinden gehe ich in meinem Buchprojekt nach. Die Dynamiken der Um- und Unordnung beleuchte ich vor dem Hintergrund langfristiger Prozesse der ikonographischen Konventionsausbildung. Die Grundfrage, die mich bewegt, ist: Was induziert Veränderung, wodurch entstehen Konventionen?
Daniela Bohde
Univ.-Prof. Dr.Professur Kunstgeschichte der Vormoderne (vor 1800), Institutsleitung